Kaufmännische Rügepflicht am Bau

  • Einführung
    Ist ein Produktfehler erkennbar, entfällt die Haftung des Verkäufers, wenn auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts Kaufleute im Sinne des HGB stehen und der Fehler für den Kaufer erkennbar war, ohne dass der Fehler unverzüglich gerügt wurde. Dies ist eine immer noch zu selten beachtete Konsequenz daraus, dass seit der Schuldrechtsreform 2002 Kaufrecht auch am Bau vermehrt Anwendung findet und damit die kaufmännischen Prüf- und Rügepflicht (§ 377 HGB) Anwendung finden kann.

    § 377 HGB unterscheidet zwischen offenen und versteckten Mängeln. Offene Mängel müssen unverzüglich nach Eingang und branchenüblicher Prüfung der Ware gerügt werden; versteckte Mängel unverzüglich nach ihrem Bekanntwerden. Ein offener Mangel liegt nicht nur dann vor, wenn die Mangelsymptome offen zu Tage treten, sondern auch, wenn bei einer sachgemäß durchgeführten Untersuchung, soweit diese nach ordnungsgemäßen Geschäftsgang tunlich waren, alsbald nach der Ablieferung hätte festgestellt werden können.

  • Beispielsfall
    Die Bau-GmbH (B) kauft von der Liefer-GmbH (L) Stahl zur Verarbeitung auf einer Baustelle des B. Beide vereinbaren, dass der Kohlenstoffgehalt des Stahls allenfalls 0,05 % betragen dürfe und ein Werkszeugnis über die chemische Stahlgüte vorgelegt werden müsse. Bei der Lieferung des Stahls legt L das geforderte chemische Werkszeugnis vor. Nachdem sich 6 Monate später Mängel gezeigt haben, lässt B den Stahl untersuchen. Dabei wird festgestellt, dass der Kohlenstoffgehalt über dem vereinbarten Wert lag. Nach erfolgloser Rüge und fruchtlosem Nacherfüllungsverlangen macht der Käufer Schadensersatz geltend. Zu Recht?
  • Entscheidung des Gerichts
    Die Anforderungen an diese Untersuchungspflicht lassen sich nicht allgemein festlegen, sondern erfordern eine Interessenabwägung. Sofern eine diesbezügliche Vereinbarung getroffen ist, kommt es auf diese an. Eine bloße Verpflichtung zur Vorlage eines Werkszeugnisses entlastet den Käufer aber nicht von seiner Untersuchungspflicht. Die Prüfbescheinigung kann ebenso unrichtig sein wie die Lieferung nicht vertragsgemäß. Entscheidend ist, welche konkreten Maßnahmen einem ordentlichen Kaufmann in konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung auch der schutzwürdigen Interessen des Verkäufers nach der Verkehrsanschauung zugemutet werden können. Der Verkäufers soll davor bewahrt werden, sich noch längere Zeit nach der Ablieferung Gewährleistungsansprüchen, die dann nur noch schwer feststellbar seien, ausgesetzt zu sehen. Gerade im Falle drohender hoher Schäden sind deshalb die Pflichten des Käufers besonders groß. Zu beachten ist allerdings auch der Aufwand der Untersuchung. Im entschiedenen Fall kostete die Prüfung des Kohlenstoffgehaltes im Labor lediglich € 50,00 und dauerte nur 24 h. I.Ü. hatte der Gerichtssachverständige ausgeführt, dass derartige Untersuchungen branchenüblich seien. Die Rüge war deshalb nicht mehr unverzüglich. Die Ansprüche des Käufers wurden abgewiesen (OLG Hamm, BauR 2010, 1812).
  • Fazit
    Die kaufmännische Rügepflicht hat im Baurecht eine ständig wachsende Bedeutung. Das OLG Hamm weitet die Prüfpflichten erstaunlich weit aus. Es kommt hier aber immer auf den konkreten Einzelfall an.

    Das LG Potsdam hat erst kürzlich wieder geurteilt, dass eine Probeentnahme zum Zwecke der Ermittlung der stofflichen Zusammensetzung gerade nicht erforderlich sei (LG Potsdam, Urteil vom 21.05.2014 – 3 O 86/13).

    Aus Sicht des Werkunternehmers ist im Ergebnis jedenfalls große Aufmerksamkeit bei der Produktprüfung angezeigt.

    Die einschneidenden Konsequenzen der Verletzung der Prüfungs- und Rügepflicht können i.Ü. durch individual-vertragliche Vereinbarung abbedungen oder gemildert werden. Wenn sich der Käufer z.B. die chemische Zusammensetzung in Form eines selbstständigen Garantieversprechens garantieren ließe, fänden die Regelungen des § 377 HGB hierauf auch keine Einwendung.