Recht auf Vergessen („Right to be forgotten“). Mit dem „Recht auf Vergessen“ im Internet wird das Recht der natürlichen Person bezeichnet, im Internet über sie veröffentlichte Informationen nach Ablauf eines gewissen Zeitraums wieder aus dem Internet zu entfernen, auch wenn die entsprechenden Informationen wahr sind und ursprünglich in rechtmäßiger Weise veröffentlicht wurden. Ob und unter welchen Bedingungen es ein derartiges „Recht auf Vergessen“ geben soll, ist umstritten. Es kollidieren hier das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen, über seine personenbezogenen Daten verfügen zu können, einerseits und die Freiheit Dritter, über diese Informationen zu berichten (Meinungs- und Pressefreiheit) bzw. sich über sie informieren zu können (Informationsfreiheit) andererseits.
„Google“-Entscheidung des EuGH. Am 13.5.2014 hat der EuGH ein wegweisendes Urteil zum „Recht auf Vergessen“ gefällt (Rechtssache C-131/12). Danach sind Suchmaschinenbetreiber verpflichtet, Links aus ihren Ergebnislisten zu entfernen, sofern dem Betroffenen insoweit ein datenschutzrechtlicher Löschungsanspruch zusteht. Im konkreten Fall hat der EuGH einen solchen Löschungsanspruch bejaht. Denn aus seiner Sicht überwiegt das Interesse des Betroffenen, den Zugang zu personenbezogenen Daten über eine Suchmaschine nach einer gewissen Zeit sperren zu lassen, grundsätzlich das Interesse der Allgemeinheit am Zugang zu diesen Informationen und die wirtschaftlichen Interessen des Suchmaschinenbetreibers. Nur in besonders gelagerten Fällen, so etwa bei einer besonderen Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben, ist ein anderes Ergebnis denkbar. Das Urteil wurde von den einen als Meilenstein des Datenschutzes im Internet gefeiert, von den anderen als unverantwortliche Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit kritisiert.
Ein spanischer Bürger hatte gegen die Google Inc. und Google Spain auf Entfernung eines bei Eingabe seines Namens in der Ergebnisliste der Suchmaschine auftauchenden Links geklagt. Der Link verwies auf die Internetausgaben einer Zeitung vom Januar bzw. März 1998, wo unter Nennung des Namens des Betroffenen wahrheitsgemäß über die Versteigerung eines Grundstücks im Zusammenhang mit einer wegen Forderungen der Sozialversicherung gegen ihn erfolgten Pfändung berichtet wurde.
In der Entscheidung hat der EuGH festgestellt,
(i) die Tätigkeit einer Suchmaschine sei als „Verarbeitung personenbezogener Daten“ im Sinne von Art. 2 lit. b der Datenschutz-Richtlinie („DS-RL“ = Richtlinie 95/46 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr) anzusehen, sofern sich die Links der Ergebnisliste auf Webseiten mit personenbezogenen Daten bezögen, denn die Tätigkeit der Suchmaschine bestehe darin, von Dritten ins Internet gestellte oder dort veröffentlichte Informationen zu finden, automatisch zu indexieren, vorübergehend zu speichern und schließlich den Internetnutzern in einer bestimmten Rangfolge zur Verfügung zu stellen und damit zu „verarbeiten“;
(ii) der Suchmaschinenbetreiber sei als für diese Verarbeitung „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 2 lit. d der DS-RL anzusehen, da er über die Zwecke und Mittel der Datenverarbeitung entscheide;
(iii) Spanisches Datenschutzrecht finde auf den zu entscheidenden Fall Anwendung, denn gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. a DS-RL werde eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung, die der für die Verarbeitung Verantwortliche im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates besitze, ausgeführt, wenn der Suchmaschinenbetreiber in einem Mitgliedstaat für die Förderung des Verkaufs der Werbeflächen der Suchmaschine und diesen Verkauf selbst eine Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft gründe, deren Tätigkeit auf die Einwohner dieses Staates ausgerichtet sei; und
(iv) ein Löschungsanspruch bestehe, weil die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen, angesichts der Sensibilität der streitgegenständlichen Informationen und der seit der Erstveröffentlichung vergangenen Zeit, gewichtiger seien als das wirtschaftliche Interesse des Suchmaschinenbetreibers und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit; dies könne ausnahmsweise, insbesondere aufgrund der besonderen Rolle der betroffenen Person im öffentlichen Leben, anders sein.
Der EuGH hat somit kein generelles „Recht auf Vergessen“, sondern einen auf die DS-RL gestützten Löschungsanspruch gegen einen Suchmaschinenbetreiber und in einem Fall bejaht, in dem es um sensible Informationen (über die Kreditwürdigkeit) eines (nichtprominenten) Betroffenen ging und die ursprüngliche Veröffentlichung 16 Jahren zurück lag.
Das Urteil ist überwiegend auf Zustimmung gestoßen sein. Die genaueren Konturen des vom EuGH begründeten datenschutzrechtlichen Löschungsanspruchs werden allerdings erst allmählich durch die nationalen Gerichte konkretisiert werden. Nach Ergehen des Urteils hat Google ein auf das „Recht auf Vergessen“ gestütztes Beschwerdeverfahren eingeführt. Bis Oktober 2014 wurden allein etwa 150.000 bei Google eingehende Löschungsanträge mit dem „Recht auf Vergessen“ begründet. Inzwischen gibt es Stimmen, die für eine restriktivere Handhabung dieses Rechtes zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit plädieren.
Entscheidungen nationaler Gerichte? In einem Urteil vom 17.7.2014 (Az.: 364/2014) hat das LG Barcelona Google Spain wegen nach Inkenntnissetzung unterlassender Entfernung eines Links auf eine Seite mit personenbezogenen Daten des Klägers zu einem (immateriellen) Schadensersatz von 8000 EUR verurteilt. Der Kläger war wegen eines sog. Verbrechens gegen die öffentliche Gesundheit 1990 letztinstanzlich verurteilt und 1999 begnadigt worden. Hierüber wurde in der elektronischen Ausgabe des Boletín Oficial del Estado (Spanisches Amtsblatt, nachfolgend kurz: BOE) von 1999 berichtet. Der Kläger begehrte gegenüber Google Spain die Entfernung des Links auf die ihn in einem negativen Licht darstellenden Seite der BOE.