Der europäische Gerichtshof hat entschieden! Die HOAI 2013 gilt fort, wenn sie vereinbart war!

13.02.2022

Die Mindest-und Höchsthonorarsätze der HOAI (Honorarsätze) verstoßen gegen die Dienstleistungsrichtlinie. Dies hatte der EuGH bereits mit Urteil vom 04.07.2019 festgestellt. Heftig umstritten war in der Folge, was dies für Architekten-und Ingenieurverträge, denen die Honorarsätze zugrunde gelegt worden waren, bedeutete. Die eine Ansicht meinte, dass dieses Urteil auf den Inhalt der Verträge „durchschlagen“ müsse, sodass zumindest seit seinem Ergehen kein Architekt oder Ingenieur mehr berechtigt sei, unter Berufung auf die Honorarsätze ein anderes Honorar als das vereinbarte zu fordern. Die Gegenmeinung berief sich insbesondere auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung, wonach – grundsätzlich – nur der deutsche Gesetzgeber eine gültige Norm (die HOAI) aufheben darf, und auf eine genaue Analyse der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs, aus der sich ebenfalls keine Pflicht zur Nichtbeachtung der HOAI ableiten lasse.

Siehe hierzu im Einzelnen Scheffelt, Die Fortgeltung der unionsrechtswidrigen Honorarsätze der HOAI, BauR 2019, 1827 und Scheffelt, Die Rechtswirkungen der Honorarsätze der HOAI in Verträgen, IBR 2020, 1006 (online)

Der EuGH hat nunmehr im Urteil vom 18.01.2022 – C-261/20 (Volltext) diese Ansicht bestätigt. Dies bedeutet kurz gesagt:

In allen Architekten- und Ingenieurverträgen, die eine Fassung der HOAI zugrunde gelegt hatten, die älter war als die derzeit gültige (Stand 01.01.2021), können sich beide Parteien nach wie vor auf die Honorarsätze berufen. Die praktisch relevantesten Fälle dürften die sogenannten Aufstockungsklagen sein, in denen der Auftragnehmer statt des vereinbarten das Honorar verlangt, dass sich aus den Mindestsätzen der HOAI ergibt. In den seltenen Fällen, in denen ein Honorar vereinbart wurde, das oberhalb der Honorarhöchstsätze liegt, steht dieses Recht aber auch nach wie vor den Auftraggebern zu.

Das Gericht begründet sein Ergebnis damit, dass aus der Dienstleistungsrichtlinie nicht gefolgert werden könne, dass die Honorarsätze nicht mehr angewendet werden dürften. Der Grundsatz, dass Richtlinien keine unmittelbaren Belastungen in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten begründen können, greife durch.

Abschließend entschieden ist dies aber nur für Sachverhalte, die keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen.

Die Vertreter der Gegenansicht hatten aber insbesondere auch darauf abgestellt, dass die Honorarsätze nicht nur die Dienstleistungsrichtlinie, sondern auch allgemeine Grundsätze des Unionsrechts in Form der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 AEUV) oder der Vertragsfreiheit (Art. 16 der EU-Grundrechtecharta) verletze. Sind derartige fundamentale Grundsätze verletzt, hat der europäische Gerichtshof schon in verschiedenen Fallgestaltungen Direktwirkungen des Unionsrechts auch in Privatverhältnissen bejaht, insbesondere dann, wenn die betreffende Richtlinie „nur“ eine Konkretisierung des allgemeinen Primärrechts darstellte.Zu dieser Frage äußerte sich der Gerichtshof jetzt aber nicht, denn die Anwendung von primären Unionsrecht setzt einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus, der vorliegend eindeutig nicht gegeben war. Die diesbezügliche Frage des Bundesgerichtshofs wurde als unzulässig zurückgewiesen. Dies bedeutet aber nicht, dass der EuGH in einem Fall mit grenzüberschreitender Bedeutung anders entscheiden würde. Er hat sich zu dieser Frage schlicht nicht geäußert.

Zum Streitstand: Scheffelt, Die Fortgeltung der unionsrechtswidrigen Honorarsätze der HOAI, BauR 2019, 1827, 1835

Besondere Anhaltspunkte, dass die die betreffenden Bestimmungen der Richtlinie fundamentale Grundsätze des Unionsrechts zum Ausdruck bringen, sind nicht erkennbar. Es ist daher wahrscheinlich, dass der EuGH auch in Fällen mit grenzüberschreitender Wirkung entsprechend entscheiden wird.

Staatshaftungsansprüche ?

Bemerkenswert ist weiter, dass der EuGH in seiner Entscheidung relativ ausführlich auf seine Rechtsprechung zu den Schadenersatzansprüchen eingeht, die der Geschädigte gegen den Staat haben kann, der eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß umsetzt. Deshalb wird bereits diskutiert, ob der geschädigte Auftraggeber die Vergütung auf Basis der Mindestsätze, die die vereinbarte Vergütung übersteigt, als Schaden gegenüber der Bundespolitik Deutschland geltend machen kann.
Insoweit ist bei genauer Analyse des deutschen Staatshaftungssystems aber insbesondere angesichts der richterrechtlich aufgestellten Erfordernisse eines „hinreichend qualifizierten Verstoßes“ und der Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der fehlerhaft umgesetzten Richtlinie Zurückhaltung angezeigt.

Siehe hierzu: Scheffelt, Die Rechtswirkungen der Honorarsätze der HOAI in Verträgen, IBR 2020, 1006 (online) (unter Ziff. VI).